Artikel aus der
Stuttgarter Zeitung
vom 21.2.2001
Südwestdeutsche Zeitung



Steinzeittüftler am Werk

Die Räder vom Federsee gehören zu den ältesten der Welt

In Oberschwaben hat man das Rad noch mal erfunden. Zu diesem Schluss kommt Helmut Schlichtherle vom Landesdenkmalamt in Hemmenhofen am Bodensee. Und er kann dies auch belegen.

Von Dieter Kapff

Wenn man von einem Menschen sagt, er wolle das Rad noch einmal erfinden, hält man ihn für einen, der viel Mühe auf Unnötiges verwendet, doppelte Arbeit macht. Das ist hier aber ganz anders, einmal ganz wörtlich genommen. Das Rad ist eine der einfachsten, aber wichtigsten menschlichen Erfindungen und aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Mit der Erfindung des Rades, das den Bau von Wagen erlaubte, wurde der Transport von Lasten mit erheblicher Kraftersparnis und größerem Tempo möglich.

Das Rad ist wohl vor 5400 Jahren im sumerischen Uruk im Zweistromland erfunden worden. Es war kein Speichen-, sondern ein Vollscheibenrad. Erhalten hat sich aus Mesopotamien aus dieser Zeit jedoch kein einziges Exemplar. Doch gibt es die Abbildung eines Rades als Schriftzeichen, was die Existenz der Sache selbst voraussetzt. Ein tönernes Wagenmodell aus etwa der gleichen Zeit ist aus Kleinasien und aus dem Kaukasus bekannt.

Dreht man das Rad der Geschichte wieder ein Stück zurück, bis ums Jahr 3000 vor Christus, so ist damals bei Seekirch und bei Alleshausen am Federsee in einer jungsteinzeitlichen Siedlung ein Wagen verunglückt. Das zu Bruch gegangene Scheibenrad - es war aus zwei oder drei miteinander verdübelten Brettern gefertigt - hat man einfach neben dem Weg liegen lassen. Es gehört zu den ältesten erhaltenen Rädern der Welt. Nur aus der Nordschweiz gibt es noch Vergleichbares. Die Experten rechnen mit noch um etwa 300 Jahre älteren Exemplaren, die in einer Horgener Siedlung bei Bad Buchau entdeckt werden könnten.

Bei der näheren Untersuchung des sensationellen Fundes aus dem Ried ist dem Archäologen Schlichtherle aufgefallen, dass die Konstruktion von jenem Rad aus Uruk und solchen, die in Nordeuropa und im Donauraum gefunden wurden, entscheidend abweicht. Die Räder vom Federsee haben im Zentrum kein rundes, sondern ein viereckiges Loch. Und das kann nur bedeuten, dass sich nicht die Scheibenräder auf der Achsnabe gedreht haben, wie heute bei einem Leiterwagen, sondern Rad und Achse starr miteinander verbunden waren und die ganze Achse sich gedreht hat - wie die Räder der Eisenbahn oder eines Schubkarrens.

Das ist von der technischen Idee her eine völlig andere, eigenständige Erfindung. Solche Räder und Karren gibt es nur im Alpenvorland, sie müssen hier zu Lande erfunden worden sein. Steinzeittüftler waren da im Schwäbischen am Werk.

Die Feuchtbodensiedlungen (meist Pfahlbauten genannt) am Bodensee und in Oberschwaben haben den Archäologen aber noch weitere Innovationen offenbart. Bereits nach 3000 vor Christus haben die Siedler eingesehen, dass der eine etwas besser kann als der Nachbar. Sie haben ihre Arbeit aufgeteilt und damit auch rationeller erledigt. Die Spezialisierung der wirtschaftlichen Tätigkeiten und die Produktionssteigerung hatte begonnen.

So können Archäologen an der ungewöhnlichen Häufung bestimmter Funde erkennen, in welchem Haus ein Tuchmacher, in welchem ein Juwelier, in welchem ein Rinderzüchter oder ein Werkzeugmacher lebte. Der Steinzeit-Juwelier hat zum Beispiel hunderte von dünnen Kalksteinröhrchen hinterlassen, die auf Schnüre aufgezogen mehrreihige Halsketten ergeben haben. Die kleinen Kalksteinwalzen waren zuvor mit ganz feinen Feuersteinspitzen der Länge nach durchbohrt worden - Präzisionsarbeit in der Steinzeit.

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