Artikel aus der
Stuttgarter Zeitung
vom 18.5.2001
Südwestdeutsche Zeitung



Ein Abriss könnte der Anfang vom Ende in der Altstadt sein

Denkmalschützer kontra Modernisierer: Uneinigkeit in Schwäbisch Hall über Neubaupläne einer Bank am historischen Säumarkt

Der Abriss eines alten Handwerkerhauses in der Haller Altstadt spaltet den Gemeinderat. Sollte an dieser sensiblen Stelle neu gebaut werden, könnte dies einige Nachahmer auf den Plan rufen. Eine Bedrohung für das historische Ensemble?

Von Martin Geier

Offenbar ist schon alles klar, ehe der Gemeinderat überhaupt entschieden hat. An der Nahtstelle zwischen alter Altstadt und neuer Altstadt, dem Säumarkt, will die Haller Volksbank zwei intakte Wohn- und Geschäftshäuser abbrechen und dort in einem Neubau ihre Immobilienabteilung unterbringen. Seit Monaten hält die Stadtverwaltung die Pläne unter der Decke und verhindert dadurch eine öffentliche Diskussion. Die hat jetzt die SPD-Fraktion anzuzetteln versucht, mit recht magerem Erfolg. Denn alle Verantwortlichen der Stadtverwaltung sind in Deckung gegangen, und weder Vertreter des Geldinstituts noch der Architekt mochten ihre Pläne erläutern. Sie warten wohl auf den 1.Juli. Dann nämlich tritt das neue Denkmalschutzgesetz des Landes in Kraft, das den örtlichen Behörden ziemlich freie Hand im Umgang mit ihren Kulturgütern lässt.

In der Sache geht es um zwei stufenartig angeordnete Häuser am Rand des abschüssigen Säumarkts. Es ist die Nahtstelle zwischen dem mittelalterlichen Hall und der Gelbinger Vorstadt, die bei dem großen Stadtbrand von 1680 stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Um es vorwegzunehmen: bei den fraglichen Gebäuden handelt es sich um einfache Handwerkerhäuser, die nicht unter Denkmalschutz stehen. Weil sie in den sechziger Jahren baulich verhunzt wurden, ist es schwer, ihnen auf den ersten Blick irgendeine Wertigkeit zuzubilligen.

Diese Umstände erschweren eine öffentliche Diskussion. Denn einerseits scheint die rechtliche Seite eindeutig, andererseits erfordert die Einordnung in das historische Ensemble eine differenzierte Betrachtungsweise.

"In Sachen Altstadt sind wir beinharte Konservative'', postulierten denn die Sozialdemokraten und versuchten mit ihrem bestimmten Auftreten das Dilemma, in dem sie stecken, leidlich zu verschleiern. Denn eines ist für jeden Besucher der Stadt deutlich erkennbar: die Erosion in der Haller Altstadt hat schon längst begonnen. Während die vorigen Stadtoberhäupter die baulichen Begierden der örtlichen Banken in Grenzen halten konnten, verhält sich der amtierende Oberbürgermeister in Sachen Altstadt neutral. Auch nach vier Jahren Amtszeit findet Hermann Josef Pelgrim noch keinen Zugang zu dem, was seine Parteifreunde jetzt so formuliert haben: "Diese Stadt gehört allen Bürgern, es ist ihr historisches Erbe.''

Auch wenn die beiden Häuser am Säumarkt keine Denkmäler im eigentlichen Sinne seien, so gehörten sie zum Gesamtbild der Altstadt. Nach der vor 21 Jahren erlassenen Erhaltungssatzung kann die Mehrheit des Gemeinderats eine Änderung herbeiführen. In diesem Punkt sieht die SPD Gefahr im Verzug, weil die CDU (bis auf eine Ausnahme) und die Freien Wähler voll auf den Modernisierungszug aufgesprungen sind.

Landeskonservator Franz Meckes aus Stuttgart erläuterte, dass Hall zwar eine außergewöhnliche Stadt sei, die Verwaltung es aber trotz vieler überregional bedeutender Denkmale versäumt habe, ihre Altstadt unter Ensembleschutz zu stellen. In Baden-Württemberg fallen 80 Städte unter diese Veränderungssperre. Gleichwohl ließen sich an dieser Stelle zwischen Barockbauten, der Neuen Wache, der Waage und dem Gerberhaus die Torfunktion ablesen, die die beiden Abbruchkandidaten für die Gelbinger Vorstadt haben. Dies sei eine neuralgische Stelle im Erscheinungsbild der Stadt, der Bankenneubau brächte eine gewaltige Veränderung.

Auch die dortigen Einzelhändler meldeten sich zu Wort, die sich gegen den auf den Plänen unstrukturiert wirkenden und viel zu hohen Neubau mit Glasgiebel wandten. Der ehemalige Baubürgermeister und Mitbegründer des mustergültigen Freilichtmuseums, Erich Specht, räumte ein, dass die Verwaltung auch in der Vergangenheit Fehler gemacht habe, diese brauche man aber in der Gegenwart nicht zu wiederholen. Klar war, dass die im Gemeinderat anstehende Entscheidung Signalwirkung weit über die Stadtgrenzen hinaus haben würde.

"Wenn man den Sack aufmacht'' und den Neubau erlaube, breche ein Damm und weitere Neubauten in der Altstadt seien nicht zu verhindern. Man erlaube hier einer Bank, lautete ein Einwand, was man einem Privatmann in unmittelbarer Nachbarschaft seit 16 Jahre verwehre. Gebe der Gemeinderat sein Placet, würden 30 Jahren Denkmalpolitik in der Stadt auf den Kopf gestellt.

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