Artikel aus der
Stuttgarter Zeitung
vom 7.9.2001
Kultur



Geschichte im Alltag

Eine Bestandsaufnahme zum Tag des Denkmals

Zum neunten Mal ist am kommenden Sonntag in ganz Deutschland der "Tag des offenen Denkmals''. Und aller Voraussicht nach wird diese Aktion der Deutschen Stiftung Denkmalschutz auch in ihrer neunten Runde wieder ein großer Erfolg. Zu tausenden strömen die Menschen aus diesem Anlass mit Kind und Kegel los, um in allerbester Ausflugsstimmung Schlösser, alte Kirchen oder ausgediente Fabrikanlagen in direkten, staunenden Augenschein zu nehmen.

Interessanterweise sind dabei die Hauptanziehungspunkte traditionell gar nicht jene Pracht- und Repräsentativbauten, die ohnehin jederzeit, zumindest sechs Tage die Woche lang, besichtigt werden können, sondern es sind die versteckten Orte, die kleineren, unbekannteren, unscheinbareren Plätze; jene Gebäude, die sonst der Öffentlichkeit verschlossen sind und nun aus Anlass des Aktionstages für wenige Stunden freien Zutritt gewähren. Legionen von Neugierigen sind am Tag des offenen Denkmals auf der Suche gerade nach dem Besonderen, dem Ausgefallenen. Und sie werden fündig, dank des Engagements zahlloser Denkmalschützer, solcher von der haupt- und noch mehr von der ehrenamtlichen Sorte. Wenigstens einmal im Jahr könnte man also auf die Idee kommen, mit dem Denkmalschutz in Deutschland sei alles paletti. Eigentümer und Experten präsentieren ihre Schätze, die Bürger zollen den Künsten vergangener Generationen ihren Respekt, die Politiker steuern jede Menge warmer Worte bei. Ein solches Bild trügt aber fürchterlich. Dem Denkmalschutz in Deutschland geht es nämlich keineswegs gut, sondern zusehends schlechter.

Die einschlägigen Gesetze und Verordnungen zum Schutz wertvoller Bauten werden allerorten gelockert; "gestrafft'' und "verschlankt'' heißt das im Dynamisch-Deutsch der Regierenden jedweder Couleur. Die zuständigen Behörden und Denkmalpfleger werden geschwächt, ihre Kompetenzen beschnitten; die staatlichen Zuschüsse gekürzt. Und warum gehen all diese Verschlechterungen in der Regel sang- und klanglos über die politische Bühne? Weil trotz durchschnittlich 3,5 Millionen Teilnehmern am Tag des offenen Denkmals der praktische Denkmalschutz im Alltag nur wenig Rückhalt in der Bevölkerung genießt und fast gar keine Lobby hinter sich weiß.

Zwar hat sich inzwischen auf allen politischen Ebenen herumgesprochen, dass schöne alte Gebäude den Menschen in der Regel besser gefallen als hässliche neue. Aber gerade dieser unkritische Trend zum Schönen und Alten führt an manchen Orten zu bizarren Ergebnissen - und hat mit Denkmalschutz wenig zu tun. Nein, wir wollen jetzt einmal gar nicht auf den geplanten Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses zu sprechen kommen. Berlin bietet ja noch viel mehr, was unsere These belegen hilft: die Bauakademie des preußischen Meisterarchitekten Karl Friedrich Schinkel beispielsweise, die nur einen Steinwurf weiter westlich mit enormem Aufwand wieder aufgebaut werden soll, wenn es nach dem Willen entsprechender Vereine und diese unterstützender Politiker geht. Die DDR-Führung hatte den kriegszerstörten Bau 1962 schleifen lassen, um an seiner Stelle ihr Außenministerium errichten zu können. Dieses Außenministerium ist längst wieder abgetragen, und exakt hier soll nun die alte Schinkelfassade auferstehen. Wohlgemerkt: wahrscheinlich nur die Fassade! Denn dahinter muss heutzutage Platz sein für Büros, Läden und Lofts, die teuer zu vermieten sind, weil sich das Ganze ja sonst gar nicht rechnen würde.

Nun könnte man für ein solches Großprojekt ja durchaus Sympathien entwickeln - wenn nicht weit von alledem, in der Invalidenstraße, ein Bauzeugnis des besagten Meisterarchitekten Karl Friedrich Schinkel noch leibhaftig stehen, aber schon seit Jahren vor sich hingammeln würde. Die klassizistische Elisabethkirche, ebenfalls stark kriegszerstört, ist nur notdürftig gegen Wind und Wetter geschützt; ihre einstige Schönheit ist unter all dem Schmutz und Modder nur noch geschulten Augen deutlich. Die Denkmalschutz-Stiftung sammelt zwar gerade Spenden zwecks Erhalt des Gebäudes. Aber vermutlich wird man irgendwann das Ganze schon aus Sicherheitsgründen abreißen müssen. Eines der Hauptwerke Schinkels ist dann nur noch in alten Bildbänden zu bestaunen. Dies aber dann ja vielleicht bei einem schönen Espresso im schicken, postmodernen Kunstbuchladen, der sich in der wiedererrichteten Fassadenakademie eingerichtet hat.

Denkmalschutz ist ein mühsames Geschäft. Wertvolle, beispielhafte Gebäude früherer Zeiten zu erhalten, um die historisch gewachsene Struktur unserer Städte, Dörfer und Landschaften als Kulturgut zu bewahren und an kommende Generationen vererben zu können - ein solcher Denkmalschutz darf sich nicht auf Einkaufspassagen und Ausflugsziele beschränken. Es geht dabei nicht um Fassaden, es geht um Substanz; es geht nicht um Showeffekte, es geht um Präsenz von Geschichte. Das Bewusstsein für solch einen alltäglichen Denkmalschutz muss hier zu Lande offensichtlich noch kräftig wachsen, unter den Wählern ebenso wie unter den Gewählten. Der alljährliche Tag des offenen Denkmals ist dafür ein schöner Aufhänger. Doch das Schicksal wertvoller Bauten entscheidet sich erst an den 364 Tagen danach.

www.denkmalschutz.de

Von Tim Schleider

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