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Stuttgarter Zeitung
vom 02.08.2002

 


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Die Sternenscheibe von Sangerhausen trägt ihren Namen zu Unrecht


 
Sensationsfund aus der frühen Bronzezeit stammt tatsächlich aus einer anderen Gegend von Sachsen-Anhalt - Polizei hat die Raubgräber ermittelt
 
Zwei Männer, die die frühbronzezeitliche Sternenscheibe von Sangerhausen "gefunden" haben, sind von der Polizei ermittelt worden. Die Staatsanwaltschaft hat ein Untersuchungsverfahren wegen Fundunterschlagung eingeleitet.

Von Dieter Kapff, Halle

Der sensationelle Fund der Sternenscheibe von Sangerhausen, auf der vor rund 3600 Jahren ein ganz konkreter Sternenstand festgehalten wurde und die deshalb als die älteste Kosmosdarstellung der Menschheit gilt, stammt gar nicht aus der Gegend von Sangerhausen, wie bisher angenommen, sondern aus einer etwa 30 Kilometer südöstlich davon gelegenen Region in Sachsen-Anhalt. Der tatsächliche Fundort ist von den unrechtmäßigen Besitzern bewusst verschleiert worden, was nicht ungewöhnlich ist.

Wahrscheinlich stammt die Sternenscheibe auch nicht aus einem Fürstengrab, sondern ist ein Hortfund aus einer Kultanlage. Sie ist an einem besonderen Ort in "dominanter Lage" vergraben worden, wie Harald Meller, Landesarchäologen von Sachsen-Anhalt und Direktor des Museums für Vorgeschichte in Halle, annimmt. Näheres dazu will er aus verständlichen Gründen nicht verraten. "Sonst haben wir es dort bald mit ganzen Omnibusladungen voller Hobbyarchäologen und Raubgräber zu tun."

Durch naturwissenschaftliche Verfahren und die Ermittlungen der Polizei soll inzwischen der genaue Fundort feststehen. Dort will das Landesamt für Archäologie mit Nachgrabungen noch retten, was zu retten ist. Polizeistreifen sollen für die Sicherheit der Fundstelle sorgen.

Pressestaatsanwalt Klaus Wichmann gibt sich in dem laufenden Ermittlungsverfahren nicht sehr auskunftsfreudig. Immerhin bestätigt er, dass die beiden Männer aus dem Süden von Sachsen-Anhalt stammen und dass ihnen wegen Fundunterschlagung nach Paragraf 246 des Strafgesetzbuchs bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe drohen. Außerdem ist auch noch das Denkmalschutzgesetz zu beachten, das in Paragraf 12 den Besitzanspruch des Landes regelt (Schatzregal) und ein Bußgeld von bis zu einer halben Million Euro androht. Der Fall wird von einer Staatsanwältin aus dem Bereich organisierte Kriminalität bearbeitet.

Auf die Spur gekommen ist man den beiden Männern durch naturwissenschaftliche Untersuchungsmethoden im Labor des Landesamts und durch die polizeiliche Rückverfolgung der Spuren von den letzten beiden Besitzern über viele Zwischenstufen bis zu den Sondengängern, die die Sternenscheibe mit ihren Metallsuchgeräten entdeckt und ziemlich unsachgemäß ausgebuddelt hatten. Dabei, das steht nun ebenfalls fest, ist sie erheblich beschädigt worden.

Die Raubgräber- und Hehler-Story hat viele Kapitel. Die Pfade, die die Sternenscheibe vom Burgenlandkreis über Basel und zurück nach Halle nahm, sind verschlungen und abenteuerlich. Nach der Bergung sind die Sternenscheibe und die Begleitfunde im Herbst 1998 unter konspirativen Umständen dem Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte zum Kauf angeboten worden. Danach der Münchener Prähistorischen Staatssammlung. Gezeigt wurden dabei jeweils nur Fotos der Scheibe.

Da die Herkunft der Funde (neben der Sternenscheibe noch zwei Schwerter, zwei Beile und ein Meißel, einige bronzene Armringe sowie ein goldener Ring) dubios war und die illegale Aneignung rasch klar wurde, kam ein Ankauf nicht zu Stande. Auch andere seriöse Händler ließen die Finger davon. Der Fund von (angeblich) Sangerhausen war für sie zu heiß und daher wertlos. Nach dem Denkmalschutzgesetz ist das Land der rechtmäßige Eigentümer.

Danach verschwand der Schatzfund vom grauen Markt und wechselte in die Hehlerszene. Anfänglich für 30 000 Mark, doch der Fund wechselte noch mehrfach den Besitzer. Der Preis stieg dabei ständig, denn jeder neue Eigentümer ließ sich das Risiko mit bezahlen. Im Frühjahr 2001 tauchte die Sternenscheibe wieder auf. Nachdem im Inland kein Käufer gefunden werden konnte, sollte sie zusammen mit den Begleitfunden ins Ausland verkauft werden.

Die Landesregierung von Sachsen-Anhalt und das Landesamt für Archäologie nahmen Kontakt zu den letzten Besitzern auf - einer 47-jährigen Gastronomin mit deutscher und schweizerischer Staatsbürgerschaft und einem 63-jährigen Oberstudienrat aus Nordrhein-Westfalen. Die Verkäufer wünschten einen Treffpunkt in der Schweiz, wo die Sternenscheibe von einem Fachmann geprüft werden und dann für 358 000 Euro den Besitzer wechseln sollte.

Die Polizei in Sachsen-Anhalt bat die Kollegen in der Schweiz um Amtshilfe. Der Basler Kriminalkommissär Peter Gil lobte die gute Zusammenarbeit. Die Basler Polizisten ließen sich auch durch Täuschungsmanöver nicht abschütteln. Man traf sich am 23. Februar 2002 im Hotel Hilton. Kaufinteressent war ein verdeckter Ermittler der Kantonspolizei Basel-Stadt, sein Sachverständiger (für die Echtheitsprüfung) kein anderer als der Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt, Harald Meller. Die Verkäufer wurden festgenommen, der Fund sichergestellt und schließlich nach Halle überführt.

Die Gastwirtin hat später versucht, die Sternenscheibe wieder zurückzuerhalten. Sie stellte Strafanzeige gegen Meller wegen Unterschlagung, hatte damit aber keinen Erfolg.
 
02.08.2002 - aktualisiert: 03.08.2002, 06:33 Uhr

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