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Im Südwesten

Artikel aus der
Stuttgarter Zeitung
vom 6.9.2002

 


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Die Abrissbirne ist zur ständigen Bedrohung geworden

Denkmalschutz in Zeiten leerer Kassen: immer häufiger muss Bürgerengagement fehlende öffentliche Zuschüsse ausgleichen
 
Das Publikumsinteresse an steinernen Zeugen der Vergangenheit ist ungebrochen. Das dürfte der Tag des offenen Denkmals am Sonntag erneut zeigen. Von der Politik aber wünscht sich der oberste Denkmalschützer im Land mehr Rückenwind.

Von Ralph Zimmermann

"Baden-Württemberg tut immer noch vergleichsweise viel", räumt Dieter Planck ein. Doch auch der Präsident des Stuttgarter Landesdenkmalamts ist nicht frei von Sorgen. Flossen einst in den achtziger und frühen neunziger Jahren, als der Denkmalschutz noch politisch Konjunktur hatte, bis zu 40 Millionen Euro jährlich aus dem Toto-Lotto-Topf in den Denkmalschutz, müssen sich Dieter Planck und seine Kollegen in diesem Jahr mit 27 Millionen zufrieden geben, die übrigen Millionen fließen in die chronisch leeren Landeskassen. Und die einst üppig ausgestatteten Sonderprogramme für denkmalschützerische Großprojekte hat das von Wirtschaftskrise und Vereinigungslasten gebeutelte Land gar komplett gestrichen.

Am hochwertigen Denkmalbestand im Land, fürchtet Planck deshalb, drohten Schäden, im Einzelfall seien auch Totalverluste nicht auszuschließen. Zumal das im vergangenen Jahr novellierte Denkmalschutzgesetz die Rechtsposition der Denkmalschützer in Konflikten mit Eigentümern schwächt. Konnten Kommunen bis dahin den Abriss oder Umbau von Baudenkmälern nur im Einvernehmen mit den Denkmalschützern genehmigen, entscheidet heute die Stadtverwaltung zunächst allein. "Nur in gravierenden Fällen", etwa wenn der Abriss eines Denkmals droht, kann Plancks Behörde jetzt noch das Regierungspräsidium einschalten.

Und auch die obersten Verwaltungsrichter des Landes haben den Denkmalschützern übel mitgespielt. Im November 1999 hatten sie über die Erhaltung des Rebmannhauses in Gerlingen (Kreis Ludwigsburg) zu entscheiden. Das etwa 400 Jahre alte Weingärtnerhaus im Ortskern, in dem der bedeutende Missionar und Afrikaforscher Johannes Rebmann geboren wurde, hatten die Eigentümer abreißen wollen. Die Erhaltung des Gebäudes, so hatte daraufhin zunächst die Kommune und dann das Regierungspräsidium Stuttgart entschieden, sei den Eigentümern wirtschaftlich zuzumuten - zumal ihnen erhebliche Zuschüsse des Denkmalamts und der Denkmalstiftung zugesagt worden waren. Doch die Mannheimer Verwaltungsrichter hielten in ihrem Urteil den Eigenanteil, der bis dahin Eigentümern für die Erhaltung eines Baudenkmals abverlangt wurde, für zu hoch. Der Abriss eines Gebäudes, dessen Erhaltung einem Eigner nicht zugemutet werden kann, wurde damit erleichtert.

Das Ende des Gerlinger Gebäudeveteranen schien damit gekommen. Doch das scheinbar todgeweihte Rebmannhaus steht heute noch immer, und sein Beispiel weckt bei Fachleuten und engagierten Bürgern neuerdings regelrecht Hoffnung.

Die Gegner des Abrisses nämlich hatten auch in scheinbar aussichtsloser Lage nicht locker gelassen. Die Überzeugungsarbeit trug Früchte: Im Mai dieses Jahres stimmte der Gerlinger Gemeinderat, der zuvor den Abriss des Hauses gebilligt hatte, der Gründung einer Stiftung zu, an der sich auch die örtliche evangelische Kirchengemeinde beteiligte. Noch in diesem Jahr soll die Renovierung des Hauses beginnen. Im Erdgeschoss soll eine Erinnerungs- und Begegnungsstätte eingerichtet werden, in den beiden oberen Geschossen entstehen Wohnungen.

Die Geschichte des Rebmannhauses hat sich über Gerlingen hinaus herumgesprochen. "Das Gerlinger Beispiel macht mir Mut", sagt etwa der Esslinger Denkmalbeauftragte Peter Hövelborn. Bisher sind alle Anstrengungen der Stadt und des Landesdenkmalamts gescheitert, das Gebäude in der Esslinger Landolinsgasse 16 zu retten. Teile des Hauses stammen aus dem 13. Jahrhundert, gemeinsam mit zwei benachbarten Gebäuden gehört es laut Denkmalamt zu den acht ältesten noch erhaltenen Profanbauten im Land. Mit seinem stattlichen gemauerten Kellergewölbe und einem in das Gebäude integrierten staufischen Wohnturm stelle das Haus eine bemerkenswerte Seltenheit von landesweiter Bedeutung dar.

Die Eigentümer freilich wollen das Haus, das vor Jahren durch einen Dachstuhlbrand teilweise zerstört wurde, abreißen lassen und durch einen historisierenden Neubau ersetzen. Nachdem das Regierungspräsidium Stuttgart entschieden hat, dass die Erhaltung des Gebäudes den Eigentümern aus wirtschaftlichen Gründen nicht zuzumuten sei, steht dessen Abriss jetzt nach Einschätzung Hövelborns unmittelbar bevor. Der städtische Denkmalschützer hofft freilich, dass der Gemeinderat nun doch noch in letzter Minute Geld für die Rettung des Gebäudes zur Verfügung stellt. Zudem setzt Hövelborn auf das Engagement der Bürgerschaft für die Erhaltung der historischen Bausubstanz - immerhin eine viertel Milliarde Euro hätten die Bürger der einstigen Reichsstadt in den letzten Jahrzehnten für die Erhaltung ihres historischen Stadtkerns aufgebracht.

"Die Esslinger wissen, dass ihre Stadt nicht zuletzt von ihrer historischen Bausubstanz zehrt", glaubt man auch beim Landesdenkmalamt, das demnächst am Rande der Esslinger Altstadt sein neues Domizil beziehen wird. Historische Gebäude und städtebauliche Ensembles zu erhalten, sagt Dieter Planck, sichere Städten und Gemeinden ihre Identität und Unverwechselbarkeit. Letztlich werde so Lebensqualität für die Bürger erhalten. Und das wiederum sei als so genannter weicher Standortfaktor auch ein gewichtiges Argument für Unternehmen, sich in der jeweiligen Kommune anzusiedeln.

Gerade bei jungen Menschen Sensibilität für diese Zusammenhänge zu wecken, sei ein Ziel beim bevorstehenden Tag des offenen Denkmals, sagt der Präsident des Landesdenkmalamts. Das starke Engagement von Bürgern für die Erhaltung historischer Bausubstanz wecke bei ihm die Hoffung, dass auch die Landespolitik sich eines Tages wieder verstärkt für den Denkmalschutz engagiere, zumal das Beispiel Bayerns zeige, dass sich solches Engagement auch wirtschaftlich auszahle. "30 Millionen Euro mindestens sollten wir zur Verfügung haben", formuliert Planck ein kurzfristiges Ziel. Ermutigend sei immerhin, dass sich neuerdings die Landesstiftung für den Denkmalschutz engagiere: Vier Millionen Euro stehen in diesem Jahr für denkmalschützerische Projekte zur Verfügung.
 
06.09.2002 - aktualisiert: 07.09.2002, 08:04 Uhr

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