Stuttgarter Zeitung sonstige Kreis-Seiten 13.6.1998

 

Archäologen im Alten Rathaus

Spuren aus dem 13.Jahrhundert

ESSLINGEN. Das Alte Rathaus, ein großer und prächtiger Fachwerkbau aus dem Spätmittelalter, wird seit Jahren saniert und für moderne Bedürfnisse eingerichtet. So soll unter anderem im Erdgeschoß eine Fußbodenheizung eingebaut werden. Das hat das Landesdenkmalamt auf den Plan gerufen - nicht nur die Baudenkmalpfleger, sondern auch die Archäologen. Die graben seit Anfang April. Denn auf dem Platz, wo 1422 die Freie Reichsstadt Esslingen ihr stolzes Rathaus errichtete, sind schon früher Gebäude gestanden. Sie waren allerdings deutlich kleiner. Überwiegend sind es Fachwerkgebäude gewesen, von deren tragenden Pfosten noch die Standlöcher im Boden erhalten sind. An der Westseite kam ein steinerner, tonnengewölbter Keller zutage, der zweieinhalb Meter breit und noch zwei Meter lang ist. Beim Rathausbau ist der ganze übrige Rest abgebrochen worden. Der Keller hatte eine Scheitelhöhe von 2,60 Meter.

Im nordöstlichen Bereich kam ein rundgemauerter Brunnen zum Vorschein, von dem nur noch ein Halbkreis vorhanden ist. Aus statischen Gründen - das Fundament des Rathauses reicht nur einen Meter unter das Fußbodenniveau - kann der Brunnen nicht bis zum Grund ausgegraben werden. Und so werden die ganz unten vermuteten Funde, die die Benutzungszeit des Brunnens erkennen lassen würden, nicht geborgen werden. Im Norden, zum Marktplatz hin, fanden die Ausgräber Reste eines kleinteiligen Pflasters, das sich wohl nach draußen fortsetzen wird. Das Rathaus ist natürlich am (damaligen) gepflasterten Marktplatz gebaut worden.

Zwei parallele gepflasterte Gassen, die in der Mitte eine Abflußrille für das Regen-oder Abwasser haben, liegen erstaunlich nahe beieinander. Für die Parzellen (und damit die Häuser) bleiben dazwischen nicht mehr als etwa drei Meter Breite übrig. Im südlichen Teil der untersuchten Fläche im Erdgeschoß des Rathauses ist noch ein Stück Pflaster freigelegt worden. Hier liegen sogar zwei unterschiedliche Pflasterschichten übereinander.

Bei der Ausgrabung sind bisher nur die oberen Schichten untersucht worden. Sie erbrachten noch nicht ausgewertete Funde, vor allem Keramik aus dem 14. und 15. Jahrhundert, also aus der Zeit vor dem Rathausbau. Nach dem Abbruch der Häuser ist das Gelände mit dem Ziegelschutt von den Dächern einplaniert worden.

Daß das Esslinger Rathaus auf einem zuvor schon bebauten Areal errichtet wurde, kommt nicht überraschend. Das Platzangebot innerhalb der mauerumwehrten Stadt war begrenzt. Und zudem mußte das Rathaus als Repräsentationsbau an prominenter Stelle, am Markt und bei der Kirche, stehen.

Keine Stadt, auch keine Reichsstadt wie Esslingen, hat von Anfang an ein Rathaus besessen. Die anfänglich wenig zahlreichen Verwaltungshandlungen und Gerichtsfälle hat der Vogt in seinem Wohn- und Amtsgebäude erledigt. Der Vogt war der Schutz- und Handlungsbeauftragte des Stadtherrn, hier also des Kaisers. Auf dem Dorfe wurden die Amtsgeschäfte noch bis ins 19. Jahrhundert hinein in der guten Stube des Schultheißen abgewickelt. Ein Rathaus gab es dort bis dahin nicht.

Wichtiger als ein Rathaus war den Bürgern ein Kaufhaus, wo sie sich mit Lebensmitteln und Gebrauchsgütern versorgen konnten. In einer offenen Erdgeschoßhalle oder unter den Arkaden hatten Metzger und Bäcker ihre Stände - wettergeschützt und im Sommer kühler als die der Gemüsehändler auf dem Wochenmarkt unter freiem Himmel. Die Löcher, in denen die Stecken für die Stände im Boden steckten, sind noch zu sehen. Im Obergeschoß boten Tuchhändler und Krämer ihre Waren feil. Schließlich blieb, mit wachsenden Aufgaben, auch noch eine Ratsstube für die Stadtverwaltung in dem Gebäude übrig.

Mit der Entwicklung der bürgerschaftlichen Autonomie, mit dem gestiegenen Selbstbewußtsein der Städter und der gewachsenen Bedeutung ihrer Kommune wuchs der Umfang der Verwaltungsaufgaben und der Rechtspflege. Der von einem Teil der Bürger gewählte Bürgermeister übernahm Funktionen, die bis dahin der Vogt innegehabt hatte. Die Stadt blühte wirtschaftlich und politisch im 14. und 15. Jahrhundert auf und verlangte nun auch nach Selbstdarstellung durch ein möglichst prächtiges Rathaus. Der Handel blieb noch lange mit Rat und Gericht unter einem Dach vereint. dka